Diese Woche habe ich mir „Avatar: The Way of Water“ im Kino angeschaut. Der zweite Teil folgt 13 Jahre nach „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ und ist eine von den geplanten vier Fortsetzungen des Klassikers aus 2009.
In „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ werden Menschen, die Pandora – einem Planeten im Weltraum – kolonialisieren und dabei in Konflikt mit den Einwohner – den Na’vi – des Planeten treten, thematisiert. Die Na’vi sind ein einfaches, naturverbundenes Volk und die Menschen werden als böse und zerstörerisch dargestellt und können als Avatar die Vorteile eines Na’vi genießen – vor allen Dingen die Größe und das Atmen ohne Maske. Die Hauptfigur Jake Sully wird am Ende vollständig zum Na’vi und schließt sich dem Volk, dass den Wald bewohnt, an während die Menschen von dem Planeten geschickt werden.
Der zweite Teil setzt da an, wo der erste endet. Die Menschen – mittlerweile nicht als Avatar, sondern als Na’vi mit übertragenem Bewusstsein – versuchen weiterhin den Planeten auszubeuten. Jake ist ein besonderes Ziel, das gefasst werden soll, weil er die Menschen verraten hat. Die Menschen beuten weiterhin den Planeten aus – indem sie z.B. walähnliche Kreaturen jagen um aus ihnen eine Flasche voll Flüssigkeit zu erhalten – und die Na’vi werden weiterhin als das naturverbundene, gute Volk dargestellt.
Die Story und Technik
Die Story hinter Avatar ist laut eigenen Angaben von James Cameron, dem Regisseur von Avatar, angelehnt an den indigenen Völkern, die von den Amerikanern verdrängt und ihrem Lebensraum geraubt werden. 2010 sprach Cameron zu seiner Zeit bei einem Amazonas-Stamm, der aus seiner Heimat verdrängt wurde, nachdem dort ein Wasserkraft-Damm gebaut werden sollte. Dieser Punkt wird noch einmal wichtig später bei der Kritik wichtig. Die Na’vi sind also die indigenen Völker und die Menschen spiegeln die weißen Amerikaner dar, die den Lebensraum der Indigenen stehlen.
Ich werde jetzt nicht weiter im Detail auf die Story eingehen, da sie in verschiedenen Online-Medien detailliert dargestellt sind (z.B. hier und hier). Interessanter ist ohnehin die Technik. die zur Produktion des Films herangezogen wurde. Denn die detailreiche Natur und deren Bewohner hat es so im Kino noch nie gegeben. Sowohl Kreaturen (Tiere?!) unter und über Wasser als auch Bewohner (Na’vi) mit ihren verschiedenen Stämmen sind am Computer sehr facettenreich aufgezeichnet und lassen den Zuschauer förmlich eintauchen. Das zur Grunde liegende Verfahren nennt sich „Performance-Capture-Technik“, bei dem mithilfe von Markern die Bewegungen der Darsteller aufgenommen und auf ein Modell übertragen werden. Die Schauspieler drehen also die Szenen, während sie später am Computer aufwendig auf Pandora übertragen werden.
Kritik an Avatar und Cameron
Wie bereits erwähnt befand sich Cameron bei indigenen Völkern bei einem Amazonas-Stamm und ist laut eigenen Angaben auf das Thema sensiblisiert worden. 2010 sprach er sich in einem Interview gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in Brasilien aus, da durch den Bau indigene Personen umgesiedelt werden müssen. In dem Interview verriet Cameron auch, dass die Zeit bei den indigenen prägend für Avatar war und sagte u.a. folgendes:
„Ich konnte nicht anders, als zu denken, dass wenn [die Lakota Sioux] ein Zeitfenster gehabt und in die Zukunft hätten sehen können… und sie könnten sehen, dass ihre Kinder die höchste Selbstmordrate der Nation haben… weil sie hoffnungslos waren und sich in einer Gesellschaft ohne Ausweg befinden – was gerade geschieht – sie hätten viel härter gekämpft.“
https://www.kino.de/film/avatar-2-the-way-of-water-2022/news/boykott-aufruf-gegen-avatar-2-erklaert-grund-fuer-ersten-avatar-film-sorgt-fuer-starke-kritik/
Und hier beginnt der ganze Bullshit. Einige Personen sind der Meinung, Cameron würde hier Vorwürfe an indigene Völker machen, sie hätten sich nicht gewehrt. Andere wiederum sehen in dem Film von Cameron Jake Sully als den „White Savior“, als den weißen Mann der kommt und die indigenen rettet. Im Kerne geht es um den letzten Satz (sie hätten viel härter gekämpft). Kino.de schreibt z.B.:
„Amerikanischen Ureinwohner*innen vorzuwerfen, sie hätten nicht hart genug gegen weiße Invasoren gekämpft, ist definitiv kein angebrachter Kommentar, besonders nicht, wenn ihn ein weißer Mann über hundert Jahre später vorbringt und noch dazu sogenanntes victim blaming betreibt, also den zumindest implizierten Vorwurf, dass die Opfer selbst schuld an ihrem Leid sind.“
https://www.kino.de/film/avatar-2-the-way-of-water-2022/news/boykott-aufruf-gegen-avatar-2-erklaert-grund-fuer-ersten-avatar-film-sorgt-fuer-starke-kritik/
Verschiedene indigene Personen haben sich ebenfalls zu dem Thema geäußert, wie ein Artikel auf moviepilot.de gut zusammenfasst. Haben alle Kritiker gemein, dass sie Cameron beschuldigen und Vorwürfe machen, sticht für mich doch die Kritik von 🌽Asdzáá Tłʼéé honaaʼéí🌽(She/Her)🌽 (@asdza_tlehonaei) in einem Tweet, den sie später löschte/auf privat stellte besonders hervor:
https://www.moviepilot.de/news/der-boykott-aufruf-gegen-avatar-2-erklaert-schaut-den-film-nicht-1139456
Schaut nicht Avatar: The Way of Water. Schließt euch Natives und anderen indigenen Gruppen auf der ganzen Welt an und boykottiert diesen schrecklichen und rassistischen Film. Unsere Kulturen wurden angeeignet auf eine schädliche Weise, um einen White Savior-Komplex zu befriedigen. Kein Bluefacing mehr! Lakota People sind mächtig!
Viel Interpretation, wenig Materie
Auffällig ist, dass viele der genannten Artikel Camerons Äußerung kritisch sehen. Mal mehr, mal weniger. Und @asdza_tlehonaei fühlt sich berufen im Namen aller indigenen Völker „auf der ganten Welt“ zu sprechen und fordert Menschen dazu auf, sich ihnen anzuschließen.
Und spätestens hier sollte man wirklich Mal Halt machen und nachdenken. Sobald jemand der Meinung ist, er oder sie könne im Namen Vieler sprechen, ist da meist mehr Aktivismus dabei als konstruktive und ernstgemeinte Kritik.
Aber gehen wir die Kritik nach und nach durch. Fangen wir mit kino.de an. In der o.g. Kritik lässt sich folgendes lesen:
wenn ihn ein weißer Mann über hundert Jahre später vorbringt und noch dazu sogenanntes victim blaming betreibt, also den zumindest implizierten Vorwurf, dass die Opfer selbst schuld an ihrem Leid sind.
„ein weißer Mann“, „über hundert Jahre später“, „victim blaming“ und „implizierter Vorwurf“. Ist das nicht schon Interpretation des Ganzen? Ganz strikt gesehen: was konkret hindert einen „weißen Mann“, „hundert Jahre später“ einen Film zu drehen, der das Leid von Indigenen thematisiert? Muss das automatisch „victim blaming“ sein? Woran erkennt man denn „implizierte“ Vorwürfe? Wäre es nicht schlauer wir fragen einfach mal nach mehr Details? Ganz einfach mit „wie meinst du das denn genau?“?!
Sollte unser Anliegen nicht sein, sich gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Ausgrenzung zu stellen als dass wir – wenn auch gut gemeinte – neue Grenzen zu ziehen? Wo genau ziehen wir überhaupt diese Grenzen und wer darf dann was?
Als jemand aus der alevitisch-kurdischen Gemeinschaft habe ich vollste Empathie mit anderen Völkern der Erde, die unterdrückt, vertrieben oder ausgebeutet werden. So finde ich es z.B. schon längst überflüssig dass sich Staaten wie Kanada oder Australien entschuldigen für das, was sie in der Verantwortung stehen. Brasilien hat mit dem neuen Präsidenten Lula da Silva ein Ministerium für Indigene angekündigt.
Aber Boykott-Forderungen basierend auf Aussagen von vor über 12 Jahre sind für mich einfach übertriebener Aktivismus. Cameron sagt z.B. auch so etwas:
„Ich hoffe, die indigene Bevölkerung erkennt meine Absicht, ihre Weisheit zu feiern. Ich sehe die indigenen Völker, die es heute noch in unserer Welt gibt, als die Menschen, die mehr mit der Natur verbunden sind als wir in unserer von Industrie urbanisierten Zivilisation, und wir müssen von ihnen lernen. Meine Filme sollen diese Philosophien, diese Spiritualität feiern. Wenn wir dabei jemanden beleidigen, kann ich mich nur entschuldigen, aber wir tun unser Bestes.“
https://www.musikexpress.de/so-reagiert-james-cameron-auf-rassismusvorwuerfe-bei-avatar-2230207/
Vielleicht bin ich ja ein wenig Old-School, aber funktioniert Gesellschaft nicht genau so? Menschen können Fehler machen oder vielleicht Sachen sagen, die anderen missfallen. Solange Menschen keine verachtende Meinung über andere Personen oder Gruppen haben, die Kritik berechtigt ist und die Person aufrichtig in Sachen Korrektur oder Entschuldigung seiner ursprünglichen Aussage ist, ist das vielleicht nicht gut gelaufen und sollte so nicht einmal vorkommen, aber die Akte ist dann doch geschlossen. Kein Grund zum Aufregen.
Fazit
Wichtig wäre es zu betonen, dass ich natürlich für Demokratie, Pluralismus, Vielfalt, zu dem Erhalt von Sprachen und Kulturen stehe. Alles andere gehört auf die Müllhalde der Geschichte und ist längst überholt.
Fakt ist aber auch, dass wir mit Aktivismus und das Sprechen übereinander, statt miteinander, auch nicht weit kommen. Wie zieht man denn Grenzen zwischen Kulturen? und Entfremden wir uns nicht indem wir uns Abgrenzen? Wieso sind die Eigenschaften eines Menschen – wie etwa weiß sein – und nicht seine Absichten von Bedeutung? Kann ein Weißer nicht prinzipiell auf seiner eigenen Art und Weise etwas gutes bewirken wollen? Was ist denn gesellschaftlich schwerwiegender: ein weißer alter Mann, der Werke über andere Kulturen erschafft und im besten Fall zum Erhalt und Förderung dieser Kulturen beiträgt, oder – sagen wir – McDonald’s das zur reinen Profitmaximierung McSpaghetti in Italien anbietet? Ganz klar das letztere, oder nicht?!
Sorry, der Post ist echt lang geworden. Ich in aber auch relativ neu und muss mich noch ein bisschen einüben.
Doch was denkst du über Avatar und die Kritik an Cameron? Würde mich sehr interessieren, lasse mir ein Kommentar da! 😊