
Es ist nicht schönzureden: Europa und Deutschland befinden sich in einem Rechtsruck. Genauer, Rechtsextrem bzw. -radikalruck. Hiervon nehme ich ganz explizit demokratische Kräfte rechts der Mitte aus.
Doch, wie damit umgehen? Vor allem, wie damit umgehen wenn man irgendwie dazu gehört, irgendwie aber auch nicht?
Als Enkel von Gastarbeitern sind wir fest Teil der Gesellschaft. Unsere Großeltern sind zwar mit dem Gedanken, wenige Jahre zu arbeiten und zurückkehren, nach Deutschland gekommen, es kam jedoch anders: viele Arbeiter haben Familie nachgezogen und ihre Kinder haben Kinder in Deutschland bekommen.
Mein Vater sagte immer, mein Opa hätte eines von zwei Koffern gar nicht erst geöffnet. Man wolle ja schließlich wieder zurück und, naja, warum dann so viel auspacken?
In den 50ern und 60ern Jahren – es waren Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders – hat es vor allem an eines gemangelt: Arbeitskräfte. So schloss Deutschland mit u.a. der Türkei das sogenannte „Anwerbeabkommen“ und viele Menschen kamen in dieses Land um es mit aufzubauen. Es folgten Jahre des Wohlstands – mein Großvater sagte einmal: „wir hatten genug zum Leben, Ausgehen, in die Heimat schicken und zur Seite legen gehabt. Das Leben war echt toll.“
Auch aus politischer Sicht waren es ganz andere Zeiten: der Nationalsozialismus war „grade einmal“ 30 Jahre her. Die 69er Bewegung hinterfragte kritisch die Rolle ihrer Eltern und Großeltern während der Nazi-Zeit. Dies führte zu einem bedeutenden gesellschaftlichen und kulturellen Umbruch, da viele Tabus gebrochen waren und die Aufarbeitung der Vergangenheit intensivierte.
Kurz rum: Rechtsextremismus und Nationalsozialismus war in Deutschland nicht salonfähig. Die Aufarbeitung der Verantwortlichkeit Deutschlands, die Eingeständnis der Schuld – z.B. der historische Kniefall Willy Brandts in Polen – sowie die Öffnung der Gesellschaft hin zu einer pluralistischen und kulturell diversen Gesellschaft machte Deutschland zu dem, wie wir es heute kennen.
Die Frage der Zugehörigkeit
Als Enkel dieser Generation haben wir natürlich ganz andere Umstände und Voraussetzungen. Wir sprechen die Sprache perfekt – teilweise besser als die eigene Muttersprache -, sind in dieser Gesellschaft aufgewachsen, sozialisiert und haben alles, was zum Leben gehört, hier gesehen und erlebt. Und trotz dessen, dass wir doch irgendwie anders waren, haben wir irgendwie dazu gehört. Gleiches gilt auch für die Türkei: Obwohl wir nicht „von dort“ sind, haben wir dort ja unsere Wurzeln und gehören irgendwie dazu.
Mit der Zeit festigte sich diese Zugehörigkeit. Ich erinnere mich bspw. sehr gut daran, wie aufgeregt ich war, wenn ich einen türkeistämmigen Fußballer in der Bundesliga, der Politik oder sonst wo gesehen habe. Heute ist das völlig normal. Ich glaube, den Höhepunkt dessen sehen wir bei Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen, der es bis zum Ministerposten geschafft hat.
Doch, gehören wir noch immer dazu?
Nun, die Stories von oben haben auch ihre Kehrseite: die Generation meiner Großeltern waren nicht großartig mit Integration beschäftigt. Sowohl Deutschland als auch Gastarbeiter sind fest davon ausgegangen dass der „Gast“ bald wieder gehen werde. Folglich war die Bildung von Parallelgesellschaften viel einfacher. Natürlich ist das nicht die einzige Erklärung, aber Menschen in unterschiedlichen Kreisen, mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten – dies begünstigt Reibungen und Anfeindungen.
All das war bisher immer nur ein Thema, was gemeinsam bewältigt werden musste. Ich erinnere mich an keine Zeit wie diese, in der es darum ging, explizit Menschen auszugrenzen.
Doch mittlerweile ist das anders. Rechtsradikale und -extreme – die ihre Gestalt in AfD und dergleichen findet – , wollen uns hier nicht mehr haben. Egal wie sehr sie zwischen „guten“ und „schlechten“ Ausländern sprechen: im Kern betrifft uns das alle. Die hohen Zustimmungswerte dieser Kreise – egal aus welchem Grunde – hebt ganz klar Unterschiede und nicht Gemeinsamkeiten hervor.
Plötzlich sind Standpunkte, Meinungen und Äußerungen, die noch vor wenigen Jahren nicht denkbar waren, salonfähig und werden als Teil der demokratischen Debatte geführt. Menschen, von denen man es nicht denken oder erwarten würde, geben offen ihre „ich bin zwar kein Nazi, aber …“-Gesinnug preis.
Daher, die Frage: gehören wir denn noch dazu? Müssen wir irgendwann auch gehen? Wenn ja, wie positionieren sich Menschen, die „keine Nazis sind, aber … “ bei der sogenannten „massenhaften Remigration“? Neben uns? oder winken sie uns hinterher?
Und überhaupt: was bedeutet das für das Land, wenn Menschen, die bei dem Aufbauen geholfen haben, deren Kinder und Enkel hier geboren und aufgewachsen sind, gehen müssen? Diese Fragen beschäftigen mich. Es macht mich traurig und wütend, ich möchte verzweifeln daran, dass es soweit kam, schöpfe aber auch Kraft und Motivation wenn ich sehe wie viele Menschen sich dagegen stellen.
Fazit
Ich habe viele Fragen, wenig Antworten. Dass (deutscher) Rechtsradikalismus nach nicht einmal 100 Jahren nach dem Nationalsozialismus wieder salonfähig ist, erschüttert mich. Gleichzeitig sehe ich grade an den vielen Demos nach dem Geheimtreffen in Potsdam – bei dem u.a. Mitglieder der AfD und CDU teilgenommen haben – dass das eigentlich eine sehr laute Minderheit ist.
Ich habe die Hoffnung dass das ein Phänomen im Sinne der Zeit, in der wir leben, mit hoher Inflation, starken Teuerungen und einer schlechten Ampel-Regierung ist. Wir sehen z.B. in den Niederlanden dass Rechtsextreme keine Regierung bilden können, obwohl sie stärkste Kraft bei den Wahlen geworden sind. Das macht mir Mut.
Zeitgleich denke ich aber auch über Alternativen nach. So ist bei weiterem Erstarken von genannten Akteuren Auswandern eine Option. Dem Land, in dem ich auf die Welt kam, mich sozialisierte, in dem ich die Möglichkeit zum Studieren und Arbeiten hatte.
Dies mag vielleicht wie eine Überreaktion wirken und eigentlich finde ich diese Vergleiche nicht zielführend, aber: 1933 fing es genau so an! Die Nationalsozialsten kamen demokratisch an die Macht und ehe man schauen konnte, waren die Optionen nur noch sehr sehr wenige. Eine Alternative zu haben ist auch aus psychologischer Sicht ganz hilfreich.
Eine sehr erschütternde Geschichte zweier jüdischen Personen, die den Verlauf, ihre Gedanken und Gefühle zur Zeiten des Nationalsozialismus in Form von Tagebüchern festhielten lässt sich auf Spotify nachhören. Die Parallelen sind wirklich sehr erschütternd.