Überlebenskampf nach dem Erdbeben: Tiere in der Türkei in Gefahr durch einsturzgefährdetes Gebäude

Am 06. Februar 2023 erwachte die Türkei mit einem starken Erdbeben. Das Erdbeben mit dem Epizentrum in dem kurdischen Kahramanmaraş (kurdisch: Gurgum) hatte eine Stärke von 7,6 auf der Richterskala und hatte Auswirkungen auf die Städte Gaziantep (kurdisch: Dîlok), Adıyaman (kurdisch: Semsûr), Diyarbakır (kurdisch: Amed), Hatay und den syrischen Städten Afrîn und Idlib. Laut offiziellen Angaben der türkischen Katastrophenbehörde AFAD sind bis einschließlich 21. Februar 2023 insgesamt 42.310 Menschen um das Leben gekommen. Mehrere zehntausend Gebäude sind von einsturzgefährdet und nicht bewohnbar. Unzählige Menschen leben seither in Zelten oder sind bei Verwandten und Bekannten untergekommen.

Erdbeben 2023 mit Epizentrum in Kahramanmaraş/Gurgum

Die Türkei ist ein Erdbebengebiet

Die Türkei hat in ihrer 100-jährigen Geschichte schon mehrere Erdbeben erlebt. 1939 wurde die überwiegend kurdisch-alevitische Stadt Erzincan (kurdisch: Erzîngan) von einem Erdbeben mit der Stärke 7,9 so sehr beschädigt, dass die Stadt mehrere Kilometer von ihrem ursprünglichen Ort neu errichtet wurde. 1999 traf das Beben das Gebiet Kocaeli und somit auch die bevölkerungsdichteste und -reichste Metropole Istanbul mit mehreren Tausend Toten.

Doch trotz der Erdbebengefahr wurde und wird in der Türkei sehr viel und vor allem dicht gebaut bzw. Vorschriften nur lax umgesetzt und überwacht. Insbesondere in Istanbul wird seit längerem schon das fehlen von zentralen Zufluchtsorten und dergleichen bemängelt. Hohe und dicht aneinander gebaute Gebäude sind in Istanbul keine Seltenheit.

Behörden wollten Gebäude mit lebendigen Haustieren in Diyarbakır einstürzen

Für Empörung sorgten Nachrichten über eingesperrte Tiere in einem einsturzgefährdetem Gebäude in dem kurdischen Diyarbakır/Amed. Anwohner der Wohneinheiten berichteten, dass ihre Tiere in dem Gebäude eingesperrt sind und nicht rauskönnen. Insgesamt sollten 12-14 Katzen, 1 Hund und ein Vogel eingesperrt. sein. Doch das stark beschädigte Gebäude drohte einzustürzen und das Betreten ohne sich dabei in Lebensgefahr zu begeben nicht ohne weiteres möglich.

Gebäude „Galeria“ in Amed

Die Behörden und Sicherheitskräfte haben zunächst jegliche Annäherung mit Verweis auf die Einsturzgefahr verhindert. Besitzer der Tiere hatten sich zwar bereit erklärt das Gebäude zu betreten und ihre Tiere zu retten, der Zutritt wurde aber strikt verhindert und damit nicht genug: es wurde mehrfach angekündigt, dass das Gebäude abgerissen wird, ohne Rücksicht auf die Tiere zu nehmen.

Der „Streit“ zwischen Anwohnern und Behörden/Sicherheitskräfte ging ca. 14 Tage. Und was soll ich sagen: wäre nicht ein großer medialer Shitstorm aufgetreten, Unterschriften gesammelt und sogar Abgeordnete des Parliaments bzw. Journalisten vor Ort gewesen – sie hätten es getan!

Abrissarbeiten an dem Gebäude „Galeria“ – obwohl Tiere eingesperrt sind
Abrissarbeiten an dem Gebäude „Galeria“ – obwohl Tiere eingesperrt sind

Die Abgeordnete des türkischen Parliaments Meral Danış Beştaş war kurz nach Beginn der Abrissarbeiten vor Ort und hat dazu aufgefordert, die lebendigen Tiere zu retten bevor das Gebäude abgerissen wird. Und auch der Journalist Altan Sancar berichtete live vor Ort.

Meral Danış Beştaş vor Ort
Journalist Altan Sancar berichtete tagelang vor Ort

Heftig, oder? Ich mein, das muss man sich einmal vorstellen. Tonnenweise schwerer Bauschutt hätte diese Tiere erschlagen, erdrückt, getötet. Ich kann kaum in Worte fassen, was ich gefühlt habe, als die ersten Abrissarbeiten losgingen. Ich frage mich, wie kann man das nur tun? Sowohl auf behördlicher als auch auf individueller Ebene, frage ich mich, wie kann man das verantworten? Wie kann jemand, der in dem Kran sitzt, wissend dass hier lebendige Tiere eingesperrt sind, die ein Erdbeben überlebt haben und irgendwie 14 Tage Nahrung gefunden haben, sie in den Tod befördern? Warum sind wir Menschen so schädlich zu uns selbst, zur Umwelt und zu Tieren? Wir schreiben uns Intelligenz und Zivilisation ganz groß auf die Fahne, schaffen es aber nicht einmal unsere Lebensgrundlage zu erhalten bzw. sie mit anderen Lebewesen zu teilen.

Hilfsorganisationen retten Tiere

Nachdem das Thema so viral wurde, wurden die Abrissarbeiten „nach Sichtung von Tieren“ gestoppt. Gouverneur und designierter Bürgermeister haben sich als „Tierfreund“ ausgegeben und versuchten sich durch Social Media Beiträge teilweise als die Retter zu inszenieren.

Social Media Beitrag der Stadtverwaltung Diyarbakir

Die Wahrheit sieht allerdings ganz anders aus – zumindest zunächst bei der Bezahlung des notwendigen Krans sowie der allgemeinen Organisierung und Sensibilisierung zu dem Thema. So hat PawGuards, eine Hilfsorganisation für Tiere, einen massiv überteuerten Kran für 75.000 TL (umgerechnet ca. 3.800 EUR) gemietet.

Ende gut, Alles gut?!

Die ganze Rettungsaktion dauerte ca. 3 Tage. Alle Katzen wurden gerettet, zu dem Hund habe ich in mehreren Social Media-Beiträge gelesen, dass die Besitzer schon viel früher das Gebäude betreten und den Hund gerettet haben sollen. Zu dem Vogel konnte ich leider nichts finden, könnte mir aber vorstellen dass er es ganz ohne Nahrung, Wasser bzw. mit so viel Streß einfach nicht überlebt hat 😞

Alle geretteten Katzen
gerettete Katze #10
gerettete Katze #11
gerettete Katze #8
gerettete Katze #9
„wenn Leben da ist, dann darf nicht zugeschüttet werden“

Für mich stellen sich aber noch einige Fragen: würde man die Tiere retten, gäbe es keinen so großen Aufschrei? Gibt es Orte an dem Tiere verschüttet wurden, weil ihr Fall nicht viral wurde? Hat der designierte Bürgermeister PawGuards finanziell unterstützt? Gibt es juristische Nachspiele für all diejenigen, die das Gebäude abreißen wollten – wohlwissend, dass Tiere in dem Gebäude eingesperrt sind?

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